Wie viele Bilder braucht es für einen Film? Acht Pinnwände, zu zwei Tableaus gruppiert, bieten
einen Einblick in die Geschichten von zehn transidenten jungen Menschen. Getrocknete Blumen
sind an das Board gepinnt, Klammern halten das Bild eines weißen Handschuhs, der mit roten
Venen verziert ist, ein altes Schnittmuster eines Herrenhemdes erzählt neben den vielen anderen
Fotografien, Collagen und Zeichnungen von anderen Zeiten und konservierter persönlicher
Erinnerung. Es sind Verweise auf Stile, Kunst und Kultur unterschiedlicher Welten – die eigene, wie
die weit entfernte. Fotos aus dem analogen Fotoautomat und Selfies mit dem Handy im Spiegel
stehen in Verbindung mit Bildern von Ikonen wie Björk, Lady Gaga und den Hauptdarstellerinnen
der Fernsehserie Euphoria. In einem Konzertticket birgt sich die potentielle Begegnung dieser
Welten. Die Geschichte der anderen wird Teil der eigenen. Imagination und Realität koexistieren.
Welche Geschichten werden erzählt? Die beiden Taubleaus sind wie Fenster, durch die man
Fragmente unterschiedlicher Leben erspähen kann. Sie sind wie Pinnwände, die auch im eigenen
Zimmer hängen könnten, nach außen gekehrt, nun öffentlich und durch ein Schaufenster einsehbar.
Sie könnten Requisite eines Filmes sein, in der wir eine bestimmte Rolle spielen. Vielleicht sind sie
auch Spiegel, in denen wir uns selber erkennen, in denen wir Fragmente finden, mit denen wir uns
identifizieren. Sie sind Dokumente der Suche nach dem Queeren im Alltag und der Findung des
Selbst.
Beim Abschreiten der Boards bleibt der Blick an neuen Dingen hängen, man findet neue
Zusammenhänge, manche Bilder fügen sich aneinander, bilden Abfolgen, verschwimmen zu neuem
Sinn. Eine Figur, deren Kopf aus einem großen roten Mund besteht, trägt ein Banner mit der
Beschriftung: „Stiller Kämpfer“; dazu ein Still aus Arca's Musikvideo zu dem Track „Nonbinary“,
in der die Künstlerin in einer Muschel steht, umgeben von Roboterarmen, die brennende Kerzen
halten – eine Mischung aus Venus, Cyborg und Phoenix.
Die Pinnwände haben kein Anfang, kein Ende und keine Mitte. Sie bilden ein Geflecht mit immer
neuen Schnittpunkten, die Assoziationen und Ideen inspirieren. Schnittpunkte, die aus dem
Zusammentreffen der 18 bis 25-jährigen (Noch-) und (Nicht-)künstler*innen entstanden sind,
gewachsen aus Gesprächen und dem Herantragen von Material und Geschichten.
Luki von der Gracht sieht die künstlerische Arbeit als Werkzeug, um Heilung zu bewirken und zu
empowern. Lukis Fotografe -und Videoarbeiten und installativ-performative Rauminstallationen
schöpfen immer aus persönlichen Erfahrungen. Für das Mouches Volantes ermöglicht Luki
Begegnungen zwischen Gleichgesinnten, um sich gegenseitig zu inspirieren, um gemeinsam ihre
Geschichten zu erzählen und gemeinsam Vorbild zu sein.
In dem zweiten Raum, vor den flüchtigen Blicken der Passant*innen geschützt, verdichten sich
Schnittpunkte, neu gefundene Kollaborationen können sich entfalten und tiefer gehen. In den
Arbeiten von Darj, James, Mags, Noumidia, Prudence, Mert, Mel, Jako, Ziliyah und Noel geht es
um Kämpfen mit sich selbst, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, psychischer
Krankheit, Akzeptanz, aber auch über Diskriminierungserfahrungen und ihre Überwindung. Mutig
und sensibel wird Schmerz offenbart, manchmal auch durch Überzeichnungen, mit Humor und
Leichtigkeit.
Moodboards sind Ausgangspunkt, unfertig, in Entwicklung. Die Collage kann nur ein Bruchteil der
Erfahrungen der Teilnehmer*innen des Workshops ergeben und kann als visuelles Stimmungsbild
andeuten, worum es in dem Film geht, mit dem das Ausstellungsprojekt abschließt.
„We are known by many names“ sind viele, sind einzelne und mehrere, sind Kollaborationen und
eine Gruppe, sie sind Bilder, eine Ausstellung und ein Film; sie bieten Halt und Identifikation, und
sie können sich immer wieder verwandeln.
Dora Cohnen