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AND THEN THERE ARE THE PIGEONS...
Die künstlerischen Positionen der Gruppenausstellung And Then There Are the Pigeons...
entwerfen Strategien der Inbesitznahme und Teilhabe entgegen einer Regulierung des öffentlichen Raums. Am Beispiel und lernend von Stadttauben sollen alternative Handlungs-
und Widerstandsformen in künstlerische Praxis überführt und zu einer Auseinandersetzung
über streitbare, geteilte Lebensräume gedacht werden.
“Tauben sind die letzten Punks“, dieser Satz ragt wie eine erhobene Faust seit sechs Jahren
in meiner Erinnerung. Er stammt vom Wiener Künstler und Philosoph Fahim Amir, der damals
einen Vortrag in der Kunstakademie Düsseldorf hielt und vom Widerstand des Lebendigen sprach. Über das Wahrnehmen von Tieren als politische Subjekte. Tierpraktiken können
Identität und soziale Beziehungen strukturieren und widerspiegeln. Was sagt unsere Beziehung zu Tauben über unsere Gesellschaft aus und welche Handlungsalternativen können wir
von ihnen und im Umgang mit ihnen lernen?
1966 erscheint im New Yorker ein Artikel von Thomas P. Holving, der über die städtische
Verwahrlosung und über sogenannte ”verschmutzte“ Räume schreibt. Neben Müll, Vandalismus, Dealerei und Obdachlosigkeit verzeichnet er auch eine Vielzahl von Tauben. Mit dem
Zusatz ”And Then There Are the Pigeons...“ beschreibt er unsere tierischen Mitbewohner:innen als störendes, unvereinbares Gegenüber, da es die Taube sei, die ”unseren Efeu frisst,
unsere Blumen und eine Gesundheitsbedrohung darstellt.“
1 Zusätzlich wird in diesem Text
das Stigma der Ratten der Lüfte siegreich etabliert.
Dabei zählen Tauben jahrhundertelang zu treuen Begleiter:innen menschlicher Ansammlungen. Aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit, Sozialität und Reproduktionszyklen sind sie leicht
zu domestizieren und fungieren als enge Vertraute des Menschen, Informationsüberbringerin, Unkrautvernichterin, Düngerproduzentin, Nahrungsquelle und als Prestigeobjekt.
2 Bei
kaum einem anderen Tier wird so stark klassifiziert wie bei der Taube. Das domestizierte
weiße Exemplar steht als Friedenssymbol, für Göttlichkeit und als Heilsbringerin (dove), während das nicht-weiße Exemplar (pigeon), häufig obdachlos, im Status des ”forever foreigner“ verbleibt, was sie nach Fahim Amir zum ”Wappentier der Migration“
3 macht. Diesen
missverstandenen, heimatsuchenden Haustieren wird ihre Anpassungsfähigkeit und Treue
vorgeworfen. Als Projektionsobjekte verweilen sie auf der Schwelle zwischen Haus- und
Wildtier und erschüttern unsere Auffassung der Kategorie Natur innerhalb der Ordnung des
Urbanen – von disziplinierten, sauberen Stadträumen.
In ihrer ”Widerspenstigkeit“ oder, je nach Lesart, cleveren Anpassungsfähigkeit, werden
sie zu unruly creatures (Michel Foucault). Sie brüten trotz Abwehrsystemen, bauen Nester
trotz glatter hochmodernisierter Fassaden und scheißen auf Kulturdenkmäler. Darüber hinaus ”stiften“ sie aufgrund ihrer sozialen Interaktionsfähigkeit noch zu Ordnungswidrigkeiten
an. Nach der Kölner Stadtordnung besteht seit dem 29.1.2017 ein Taubenfütterungsverbot,
welches das Füttern, Auslegen oder Anbieten von Futter für verwilderte Haustauben oder
Wildtauben mit 35 bis 1.000 Euro ahndet – womöglich gibt es in vielen Städten keine verbreitetere Straftat als das Füttern von Tauben.
Anna-Marie Berdychová (*1994) interessiert sich für die Wandelbarkeit von Materialien und
die Stadien ihrer Zersetzung. Mit gefundenen Objekten und DIY-Techniken nimmt sie den
natürlichen Verfall vorweg. Samuel Stano (*1999) erforscht in seiner Arbeit symbolische
Machtverhältnisse und die Politik des öffentlichen Raums. Beide lernten sich während ihres
Studiums an der Akademie der Bildenden Künste Prag kennen und arbeiten seit 2021 zusammen. Der Logik des Nestbaus von Tauben folgend, haben sie für die Ausstellung nicht
klassifizierte Vögel und Nester aus gefundenen und recycelten Materialien entworfen. Dabei
kopieren sie eine natürliche Form der Inbesitznahme und hinterfragen, wem der städtische
Raum gehört und wer gestalterisch, teils unbemerkt, auf ihn einwirkt.
Rebekka Benzenberg (*1990) studierte an der Kunstakademie Düsseldorf bei Rita McBride,
Franka Hörnschemeyer und Ellen Gallagher. In ihren installativen Arbeiten verweist Rebekka
Benzenberg auf binäre Machtstrukturen sowie auf physische Kontroll-, Konsum- und Disziplinierungsmechanismen. Das für die Ausstellung entwickelte Werk Eyes of the City besteht
aus der Aneinanderreihung von sogenannten ”Taubenabwehrspikes“ oder ”Pestsystems“.
Das Abwehrsystem, dass das Niederlassen von Tauben verhindern soll, wird hier zur Trägerin poetischer Zeilen (familiar faces | felt from the eyes of the city | concrete | of the day and
the night | previous stories). In die herausragenden Spitzen installiert Benzenberg blonde
Haarsträhnen und implantiert auf diese Weise eine Botschaft an das Kontrollsystem des
öffentlichen Raums aus interspezifischen Perspektive und überschreibt somit seine Bedrohlichkeit.
Ayham Majid Agha (*1980) ist Theaterregisseur, Schauspieler und Taubenzüchter. Er ist
Absolvent der renommierten Hochschule für Darstellende Künste in Damaskus, an der er
von 2006 — 2012 als Junior-Professor tätig war. Von 2005 — 2012 war er Mitglied des Theaterstudios, das interaktive Theaterprojekte in syrischen Dörfern aufführte. Bevor Ayham
Majid Agha 2013 Syrien verließ, spielten Tauben, wie in vielen Teilen der Welt, besonders
der arabischen, aufgrund ihres Navigationstalent und ihrer Ortstreue, bereits eine zentrale
gesellschaftliche Rolle. Er arbeitete am Gorki-Theater und gründete 2016 das Exile Ensemble
sowie 2021 das Berliner Taubentheater im Atelier Gardens Berlin/ BUFA Studios. Das Taubentheater verfolgt einen interspezifischen Ansatz zwischen Tierschutz, Kunst und Wissenschaft. Aktuell arbeitet das Taubentheater an Die Hängenden Gärten der Oberlandstraße
– ein Outdoor-Festival über Heimat, Stadtökologie und nachhaltige Formen des Zusammenlebens und befragt Komplexitäten die an Kategorien wie Heimat, Heimatland und Zugehö-
rigkeit gekoppelt sind. Im Laufe dieses Projekts wird das tierische Ensemble des Taubentheaters mit GPS-Systemen und Kameras ausgestattet 573 km von Köln und anderen Städten
nach Hause (Berlin) fliegen. Für And Then There Are the Pigeons... hat das Taubentheater
eine prototypische Skizze eines Taubenturms angefertigt. Taubentürme sind von von Menschen entworfene Schutzräume für Tauben, die ideal auf ihre Bedürfnisse angepasst sind
und besonders in arabisch sprachigen Ländern als architektonische Meisterwerke gelten.
Mit einer liebevollen Handlungsanweisung für einen respektvollen Umgang mit Tauben führt
das Taubentheater tief in das sensible Wesen der Tiere ein und formuliert einen deutlichen
Aufruf zu vermehrter Toleranz und Respekt für unsere Mitwesen.
And Then There Are the Pigeons... ist vom 2.9. 2022 — 8.10.2022 am Ebertplatz bei Mouches Volantes zu sehen. Als Teil von Brunnen e.V., ein Zusammenschluss der Kunsträume
und Mietparteien der Ebertplatzpassage, stellt er die kulturelle Nutzung des Platzes bis zum
Umbau im Zuge des Masterplans sicher. Besonders im Kontext um die Nutzung des Ebertplatz können die dort ansässigen Bars, Menschen, Tiere und Kunsträume ebenfalls als unruly creatures in performativen Protestformen gegen die Ökonomisierung des öffentlichen
Raumes und als Belebung des Ortes und als friedliche Revolutionär:innen gelesen werden.
Katharina Klang studierte Kunstgeschichte und Philosophie und ist freie Kuratorin für Gegenwartskunst sowie Gründungsdirektorin der Sammlung Philara, die sie von 2016 — 2022
leitete. Neben ihrer Arbeit als Autorin und Dozentin kuratierte sie zahlreiche Ausstellungen.
Im Zentrum ihres Interesses steht die Auseinandersetzung mit Erinnerungskulturen, Archiven, Politiken des öffentlichen Raums, Mensch-Tier-Beziehungen sowie der Ethik des Sammelns.
1Amir, Fahim, Schwein und
Zeit. Tiere, Politik, Revolte,
Hamburg 2018.
2Cf. Schneider, Karin,
Tauben, Berlin 2021.
3Amir, Fahim, Schwein und
Zeit. Tiere, Politik, Revolte,
Hamburg 2018.
english
AND THEN THERE ARE THE PIGEONS...
The artistic positions of the group exhibition And Then There Are the Pigeons... formulate
strategies of appropriation and participation against a regulation of public space. Based on
the behavior of urban pigeons, alternative forms of intervention and resistance are transferred into artistic practice and conceived as an engagement with contested, shared habi-
tats.
“Pigeons are the last punks” this phrase in my memory like a raised fist for six years. It
comes from the Viennese artist and philosopher Fahim Amir, who at the time gave a lecture
at the Kunstakademie Düsseldorf and spoke of the resistance of the living. About the perception of animals and how their practices can structure and reflect identity and social relations. What does our relationship with pigeons say about our society and what alternative
actions can we learn from them?
In 1966, an article by Thomas P. Holving appeared in the New Yorker, writing about neglected urban and so-called “polluted” spaces. In addition to trash, vandalism, dealing, and
homelessness, he also lists a large number of pigeons. Adding the phrase “And Then There
Are the Pigeons...” he describes our animal neighbors as a disturbing, incompatible counter-
part, as it is the pigeon that “eats our ivy, our flowers, and poses a health threat.”
1 In addition, the stigma of the rats of the air is victoriously established in this text.
Yet pigeons have been among faithful companions of human settlements for centuries. Their
adaptability, sociality, and reproductive cycles make them easy to domesticate and they
serve as close confidants of humans, information transmitters, weeders, fertilizer producers, food sources, and prestige objects.
2 Few other animals are as highly classified as the
pigeon. The domesticated white specimen stands as a symbol of peace, divinity, and salvation (dove), while the non-white specimen (pigeon), often homeless, remains in the status of
“forever foreigner,” making it, according to Fahim Amir, the “heraldic animal of migration.”
3
These misunderstood, home-seeking pets are reproached for their adaptability and loyalty.
As objects of projection, they linger on the threshold between domestic and wild animal,
shaking our conception of the category of nature within the order of the urban – of disciplined, clean urban spaces.
In their “unruliness” or, depending on the reading, clever adaptability, they become unruly
creatures (Michel Foucault). They breed despite defensive systems, build nests despite slick
ultra-modernized facades, and shit on cultural monuments. In addition, they still “instigate”
misdemeanors due to their social interaction ability. According to the Cologne city ordinance,
there has been a pigeon feeding ban since Jan. 29, 2017, which penalizes feeding, laying out
or offering food to feral domestic pigeons or wild pigeons with a fee of 35 to 1,000 euros -
possibly there is no more common offense in many cities than feeding pigeons.
Anna-Marie Berdychová (b. 1994) is interested in the mutability of materials and the stages of their degradation. Using found objects and DIY techniques, she anticipates natural
decay.
Samuel Stano's (b. 1999) work explores symbolic power relations and the politics
of public space. The two met while studying at the Academy of Fine Arts Prague and have
been working together since 2021. Following the logic of pigeons building nests, they have
designed unclassified birds and nests from found and recycled materials for the exhibition.
In doing so, they copy a natural form of appropriation and question who owns urban space
and who has a creative impact on it, sometimes unnoticed.
Rebekka Benzenberg (b. 1990) studied at the Kunstakademie Düsseldorf with Rita McBride,
Franka Hörnschemeyer and Ellen Gallagher. In her installation works, Rebekka Benzenberg
refers to binary power structures as well as physical mechanisms of control, consumption
and discipline. The work developed for the exhibition, Eyes of the City, consists of the juxtaposition of so-called "pigeon defense spikes" or "pest systems." The defense system
that is supposed to prevent the landing of pigeons becomes here the carrier of poetic lines
(familiar faces | felt from the eyes of the city | concrete | of the day and the night | previous
stories). Benzenberg installs strands of blond hair into the protruding tips and in this way
implants a message to the control system of public space from an interspecific perspective
and while overwriting it threats.
Ayham Majid Agha (b. 1980) is a theater director, actor and pigeon breeder. He is a graduate of the prestigious Damascus University of Performing Arts, where he worked as a 2006
- 2012 as a junior professor. From 2005 - 2012 he was a member of the theater studio, which
performed interactive theater projects in Syrian villages. Before Ayham Majid Agha left Syria, pigeons, as in many parts of the world, especially Arab, already played a central social
role due to their navigational talent and loyalty to place. He worked at the Gorki Theater and
founded the Exile Ensemble in 2016 and the Berlin Pigeon Theater in 2021 at Atelier Gardens
Berlin/ BUFA Studios. The Pigeon Theater takes an interspecific approach between animal
welfare, art and science. Currently, the Pigeon Theater is working on The Hanging Gardens
of Oberlandstraße - an outdoor festival about home, urban ecology and sustainable forms
of coexistence, and interrogates complexities tied to categories such as home, homeland,
and belonging. In the course of this project, the animal ensemble equipped with GPS systems and cameras, will fly 573 km from Cologne and other cities to their home (Berlin). For
And Then There Are the Pigeons... the Pigeon Theater made a prototypical sketch of a pigeon tower. Pigeon towers are human-designed shelters for pigeons that are ideally suited
to their needs and are considered architectural masterpieces, especially in Arabic cultures.
With an affectionate instruction for a respectful treatment of pigeons , the Pigeon Theater
introduces deeply into the sensitive nature of the animals and formulates a clear call for
increased tolerance and respect for our fellow beings.
And Then There Are the Pigeons... can be seen from 2.9. 2022 to 8.10.2022 at Ebertplatz
at Mouches Volantes. As part of Brunnen e.V., an association of the art spaces and tenants
of the Ebertplatzpassage, it ensures the cultural use of the square until the reconstruction
in the course of the master plan. Especially in the context of the use of Ebertplatz, the bars,
people, animals and art spaces located there can also be read as unruly creatures in performative forms of protest against the economization of public space, as gentle revolutionaries, and as a revitalization of the place.
Katharina Klang studied art history and philosophy and is a freelance curator of contemporary art as well as the founding director of the Philara Collection, which she managed from
2016 - 2022. In addition to her work as an author and lecturer, she has curated numerous
exhibitions. Her interests focus on memory cultures, archives, politics of public space, human-animal relations, and the ethics of collecting.
1Amir, Fahim, Schwein und
Zeit. Tiere, Politik, Revolte,
Hamburg 2018.
2Cf. Schneider, Karin,
Tauben, Berlin 2021.
3Amir, Fahim, Schwein und
Zeit. Tiere, Politik, Revolte,
Hamburg 2018.
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