NILS AMADEUS LANGE
GABINETTO SEGRETO

eingeladen von | invited by IHSAN ALISAN

06.06.2022 – 25.06.2022

Eröffnung | Opening
05.06.2022 | 19 UHR | 7 PM





english below


Für die erste Einzelausstellung in seiner Heimatstadt Köln öffnet Nils Amadeus Lange die Türen zu seinem eigenen Gabinetto Segreto, das sich auf das Geheime Kabinett des archäologischen Museums von Neapel mit pornografisch-sexueller Kunst aus der Antike bezieht. Es zeigt Musen der Erregung jenseits der Zeit.

Zu sehen sind Stripperinnen auf giftigem Eibenholz, ein Faun (diesmal ohne Ziege), klebrige Böden mit Konfetti, sexy Reliefs, billiges Neon und vieles mehr. Am 25.06. um 18 Uhr gibt es im Rahmen der Ausstellung eine Performance des Künstlers.

Nils Amadeus Lange (er/ihm, * 1989 Köln, Deutschland) arbeitet als Künstler, Performer und Dozent in Zürich. Nach seinem Theaterstudium an der Hochschule der Künste Bern erweiterte er seine Praxis auf verschiedene Medien, wobei er seinen Schwerpunkt auf Tanz und Performance legte und zahlreiche internationale Projekte. Im Zentrum seiner Praxis steht der Körper, der als Mittel zur Dekonstruktion von gesellschaftlichen Konventionen und Geschlechterklischees. Seit sechs Jahren unterrichtet er und entwickelt Lehrpläne an verschiedenen Universitäten in den Fachbereichen Mode, Schauspiel, Bildende Kunst, Fotografie und Performance; er hat alternative Formen des Lernens und experimentelle Ansätze.

Seine Arbeiten wurden in verschiedenen Institutionen ausgestellt, darunter die Kunsthalle Basel, Kunsthalle Zürich, Manifesta Zürich, Schloss Ujazdowski Zentrum für Zeitgenössische Kunst Warschau, Istituto Svizzero Rom, Belvedere 21 Wien, Centre d'Art Contemporain Genève, Schweizer Tanztage, Zürich moves! Gessnerallee, Frascati Amsterdam, ZÜRICH TANZT, Berliner Festspiele, Kunsthalle Bern, Les Urbaines Lausanne, Südpol Luzern, Tanzhaus Zürich und CounterPulse San Francisco, Cabaret Voltaire Zürich. Nils Amadeus Lange



english


For the first solo exhibition in his hometown of Cologne, Nils Amadeus Lange opens the doors to his own Gabinetto Segreto, referring to the Secret Cabinet of the Archaeological Museum of Naples with pornographic/sexual art from antiquity. It shows muses of arousal transcending time. On display are strippers on poisonous yew wood, a faun (this time without a goat), sticky floors with confetti, sexy reliefs, cheap neon and much more. On 25.06 at 18h there will be a performance by the artist as part of the exhibition.

Nils Amadeus Lange (* 1989 Cologne, Germany, he/him) works as an artist, performer and lecturer in Zurich. After studying theatre at the Bern University of the Arts he expanded his practice to various media, keeping a focus on dance and performance, developing numerous international projects. At the centre of his practice is the body, which functions as a means of deconstructing social conventions and gender stereotypes.

For the past six years he has been teaching, developing curricula in various universities, within departments varying between fashion, acting, fine arts, photography and performance; implementing alternative forms of learning and experimental approaches. His works have been shown at various institutions such as Kunsthalle Basel, Kunsthalle Zürich, Manifesta Zürich, Ujazdowski Castle Centre for Contemporary Art Warsaw, Istituto Svizzero Rome, Belvedere 21 Vienna, Centre d‘Art Contemporain Genève, Swiss Dance Days, Zürich moves!, Gessnerallee, Frascati Amsterdam, ZÜRICH TANZT, Berliner Festspiele, Kunsthalle Bern, Les Urbaines Lausanne, Südpol Luzern, Tanzhaus Zürichund CounterPulse San Francisco, Cabaret Voltaire Zürich.


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„Gabinetto Segreto“

Im Zuge der frühen Moderne fand im Licht der Aufklärung ein Programm der Auf- und Abspaltung aller Aspekte des menschlichen Lebens statt. Dieser Prozess schuf eine komplexe Ordnung, zum Vorteil wissenschaftlicher Durchdringung und opferte dabei zugleich die Idee einer Ganzheitlichkeit des Seins, lange schon im Bann religiöser und gesellschaftlicher Moralvorstellungen. Aus einer restriktiven Betrachtung der Sexualität formte sich u. a. die Idee der Pornografie, die einen Teil der Dinge und Handlungen ins Geheime und Verbotene verschob.
Sinnbild dieser Praxis ist das "Gabinetto Segreto", das Geheime Kabinett, im Archäologischen Museum in Neapel. Hier wurden seit dem frühen 19. Jahrhundert antike Werke aus den Fundstätten in Pompeji und Herculaneum bewahrt, seit 1821 verborgen und dann nur noch selten gezeigt. Es galt die Antike vom Vorwurf der Schamlosigkeit freizuhalten, das Publikum zu schonen und vor möglicherweise verderblichen Einflüssen zu bewahren. Erst im Jahr 2000 wurde diese museale Zensur endgültig (?) aufgehoben und die Werke wurden der Allgemeinheit zugänglich gemacht.
Das vielleicht bekannteste Stück ist die Marmor-Skulptur mit der Darstellung des Hirtengotts Pan, der mit einer Ziege kopuliert. Begleitet wird dieses Werk von Wandgemälden und Objekten, die ein breites Spektrum sinnlich-erotischer Freuden offenbaren.
Nils Amadeus Lange besuchte diese Sammlung, die ihn zur aktuellen Ausstellung bei Mouches Volantes inspirierte. Hier entstand sein „Geheimes Kabinett“, das auch die Brücke schlägt in seine Heimatstadt Köln. Der Künstler wuchs im Stadtteil Nippes auf und der Ebertplatz ist ihm vertraut als Verbindungsachse von dort in das Zentrum der Stadt. Er hat diesen Platz als einen Ort der Wandlungen erlebt, ein urbaner Raum, vor dem er als Kind gewarnt wurde, auf Grund der hier ansässigen, oder auch nur vermuteten, sozialen Struktur. Er besuchte ihn dennoch, gelockt durch den Reiz des Verbotenen, wo spätmoderne Architektur und Urbanistik mit ihren hehren, aber überspannten Ambitionen zu scheitern schien im Sinne der Überlegung, dass eine bessere Architektur zu einer besseren Gesellschaft führen würde.
Der Künstler bespielt diesen Raum nun performativ und ortsspezifisch, integrativ und biografisch. Die Ausstellung bei Mouches Volantes ist keine Lagerstätte von abgeschlossenen Werken, sondern Teil eines fortwährenden Werkprozesses, der Konventionen und Stereotypen in Frage stellt. Nicht zufällig sind Köln und Neapel selbst zwei Städte, die Aspekte des Unkonventionellen, wenigstens dem Ruf nach, in ihre Lebenskultur integriert haben, nicht zuletzt durch den in vorchristlicher Tradition stehenden Karneval. Immerhin kennt die italienische Stadt mit den Femminielli ein drittes Geschlecht und die Stadt am Rhein ist Heimat und Gastgeber vieler Lebensformen. High und Low, ästhetisch wie sozial, sind hier dem Anschein nach noch so dicht beieinander, dass sie eins sein könnten.
Nils Amadeus Lange setzt in diesem Kontext auf die Wirkung des eigenen Erlebens im Publikum. Dieses Erleben ist nicht nur bedingt durch das Sehen, sondern eine Erfahrung des ganzen Körpers, spätestens dann, wenn ein klebriger Boden das Laufen verändert. Sind diese Erfahrungen und die Begegnung mit Aspekten der Sexualität nach wie vor angewiesen auf ein "Geheimes Kabinett" in einem aufsteigenden neuen Viktorianischen Zeitalter als Backlash zu Diskursen der Emanzipation? Freiheit und Selbstbestimmung konstituieren Macht und Macht wird geteilt: inklusiv oder exklusiv, der Kampf findet statt und er ist in alle Richtungen zutiefst moralisierend und unterscheidend, einfach binär oder in einem endlosen Raum changierender Größen.

Thomas W. Kuhn, Mörfelden-Walldorf im Juni 2022


english


„Gabinetto Segreto“

In the course of early modernity, in the age of Enlightenment, a program of splitting up and splitting off all aspects of human life took place. This process created a complex order, for the benefit of scientific penetration, and at the same time sacrificed the idea of a wholeness of being, long already under the spell of religious and social morals. A restrictive view of sexuality gave rise to, among other things pornography, which shifted a part of things and actions into the secret and forbidden.
The symbol of this practice is the 'Gabinetto Segreto', the Secret Cabinet, in the Archaeological Museum in Naples. Since the early 19th century, ancient works from the sites of Pompeji and Herculaneum have been kept here, hidden since 1821 and then rarely shown. The aim was to keep the classical world of art free from the accusation of shamelessness, to spare the public and to protect it from potentially corrupting influences. It was not until 2000 that this museum censorship was finally (?) lifted and the works were made accessible to the general public. Perhaps the most famous piece is the marble sculpture depicting the shepherd-god Pan copulating with a goat. Accompanying this work are murals and objects that reveal a wide range of sensual and erotic pleasures.
Nils Amadeus Lange visited this collection, which inspired him to create the current exhibition at Mouches Volantes. It was here that he created his "Secret Cabinet," which also bridges the gap to his hometown of Cologne. The artist grew up in the district of Nippes and is familiar with the Ebertplatz as a connecting axis from there to the center of the city. He has experienced this square as a place of change, an urban space that he was warned about as a child, due to the social structure that resides here, or even suspected. He visited it nevertheless, lured by the allure of the forbidden, where late modern architecture and urbanism with their lofty, ambitions seemed to fail in the sense that better architecture would lead to a better society.
The artist now occupies this space performatively and site-specifically, integratively and biographically. The exhibition at Mouches Volantes is not a repository of completed works, but rather part of an ongoing work process that questions conventions and stereotypes. It is no coincidence that Cologne and Naples are themselves two cities that have integrated aspects of the unconventional, at least by reputation, into their way of life, not least through the pre-Christian tradition of carnival. After all, the Italian city knows with the Femminielli, and the city on the Rhine is home and host to many different lifestyles. High and low, both aesthetically and socially, seem to be so close together that they could be one.
In this context, Nils Amadeus Lange relies on the effect of the audience's own experience. This experience is not only conditioned by seeing, but an experience of the whole body, at the latest when a sticky floor changes the way one walks. Are these experiences and the encounter with aspects of sexuality still depend on a 'secret cabinet' in a rising new Victorian age as a Backlash to discourses of emancipation? Freedom and self-determination constitute power and power is shared: inclusive or exclusive, the struggle takes place and it is deeply moralizing in all directions and distinguishing, simply binary or in an endless space of oscillating magnitudes.

Thomas W. Kuhn, Mörfelden-Walldorf in June 2022

Translated from german by Ihsan Alisan



Courtesy and copyright : Nils Amadeus Lange & Mouches Volantes.
Photos: Dirk Rose

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